Kitzbühel 2021

Mit etwas Abstand zu den Geschehnissen vor ungefähr drei Wochen und einigen klaren Gedanken melde ich mich hier zurück auf meiner Homepage. Mit einer Achterbahnfahrt der Gefühle blicke ich zurück auf die Woche in Kitzbühel. Zwei Abfahrten und einen Super-G sollte ich dort bestreiten.

Für das erste Abfahrtstraining in Kitzbühel wurde mir die Startnummer eins zugelost. Dies war ein Privileg und eine herausfordernde Aufgabe zugleich. Ich war sehr nervös vor meinem Start. Dies ist man in Kitzbühel normalerweise bereits, wenn man die Gondel zum Start betritt. In diesem Jahr wurde das Gefühl noch etwas mit dem Gedanken verstärkt, der erste auf der Piste zu sein und als eine Art “Testdummy” zu fahren. Ich genoss es so gut ich konnte und fuhr eine solide Trainingsfahrt. Die Sprünge gingen dort schon ziemlich weit. Im zweiten Training gab es keine grossen Änderungen. Ich versuchte mich bestmöglich auf den darauffolgenden Tag des Rennens vorzubereiten. Mit zwei soliden Trainingsläufen im Gepäck machte ich mich an die Arbeit, ein gutes Resultat in Kitzbühel anzustreben. Das Gefühl war gut und es war mir bewusst, das ich im Stande bin, an diesem Berg ein gutes Resultat zu erzielen. Ich pushte mich mit Startnummer 17 auf die legendäre Streif. Nicht ganz fehlerfrei kam ich durch alle Passagen, jedoch fühlte ich den Speed. Das hohe Tempo war nicht auszublenden. Hausbergkante - voll auf Zug fahren - geschafft - Einfahrt Traverse - kurze Unsicherheit - kein Problem, weiter pushen und tief bleiben - Anfahrt zum Zielsprung - Position halten bis zum Schluss - Sprung….


Was dann kam, war auch für mich überraschend. Nach einem guten Absprung, zog es meinen rechten Ski nach unten. Ich versuchte mit aller Kraft diesen Ski hochzuziehen. Rauf, Rauf, Rauf - so gingen die Gedanken in meinem Kopf umher. Dieser Flug schien für mich nicht zu enden. Was wohl ein kurzer Moment war, fühlte sich für mich wie eine Ewigkeit an. Und dann war Schluss! An die nächsten 30 - 45 Minuten kann ich mich nicht mehr erinnern. Langsam realisierte mein zerschlagener und von Wunden gezeichneter Kopf, dass ich gestürzt war. Im Spital von St. Johann in Tirol kam ich dann nach und nach zu klareren Gedanken. Sch***** - nicht schon wieder…! Mit Schmerzmitteln vollgepumpt, wurde ich von einer Röntgenmaschine in die nächste MRI Station geschoben. Langsam dämmerte mir, dass der Sturz wohl heftig war. Nachdem die erste Diagnose feststand, wurde mir klar, dass meine Saison vorbei ist. Kreuzbandriss mit einem Innenbandanriss am rechten Knie und ein Bruch am Schlüsselbein war die Diagnose. Eine starke Hirnerschütterung kam auch noch dazu. Angesichts der starken Kopfschmerzen war dies keine Überraschung mehr für mich.

Noch am selben Abend war meine Neugier so gross, dass ich den Sturz mit eigenen Augen sehen wollte. Ich nahm mein Smartphone zur Hand und schaute mir meine Fahrt an. Von Sekunde zu Sekunde, als der Sturz näher kam, fing mein Körper an zu rebellieren. Der Puls schoss in die Höhe, ich konnte mein Smartphone kaum noch in den Händen halten. Dann der Sturz… wortlos sah ich an die Decke und sah einen Sturz, wie ich noch selten einen in einem Weltcuprennen gesehen hatte. Gleichzeitig stürmte die Krankenschwester, welche Nachtdienst hatte, ins Zimmer und fragte mich, was los sei. Das EKG schlug aus! Ich legte mein Smartphone zur Seite und es wurde mir bewusst. Urs, heute hattest du grosses Glück!

Jetzt zuhause bin ich auf dem Weg der Besserung. Ich werde das Knie nicht operieren lassen und beim Schlüsselbeinbruch ist es zum Glück auch nicht nötig. Sportler wie Carlo Janka (Ski Alpin) oder Christian Schuler (Schwingen) haben in der Vergangenheit bewiesen, dass es möglich ist, einen Kreuzbandriss konservativ zu behandeln. Diese Motivation und der eine oder andere Ratschlag liessen mir und meinem Bauchgefühl keine andere Wahl, als diesen Weg zu gehen. Jetzt gilt es cool zu bleiben und das bestmögliche für eine schnelle Rückkehr in den Alltag rauszuholen.

Chund scho guät!




Urs Kryenbühl